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Mary Poppins kommt wieder

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Stimme.
Sie drehten sich um und erblickten den Parkaufseher, der in seiner
Uniform und seiner Schirmmütze sehr eindrucksvoll wirkte. Mi t der
Spitze seines Stocks spießte er die umherliegenden Papierfetzen auf. Jane
zeigte mi t dem Finger auf den Lindenbaum. Der Parkaufseher blickte
hoch. Sein Gesicht wurde sehr ernst.
»Aber, aber! Ihr verletzt ja die Vorschriften. Wi r dulden hier kein
Gerümpel, das wißt ihr — weder auf der Erde noch auf den Bäumen. Das
ist nicht gestattet.«
»Das ist kein Gerümpel. Das ist ein Drachen«, belehrte ihn Michael.
Ein milder, sanfter, törichter Ausdruck zeigte sich auf dem Gesicht des
Parkaufsehers. Er trat an die Linde heran.
»Ein Drachen? Wahrhaftig! Und ich habe keinen Drachen mehr stei-
gen lassen, seit ich ein kleiner Junge war!« Mi t einem Sprung kletterte er
in den Baum hinauf und kam, den Drachen zärtlich unterm Arm, wieder
herunter.
»So«, sagte er aufgeregt, »nun wickeln wir die Schnur wieder auf,
nehmen einen Anlauf und lassen ihn fliegen.« Er streckte die Hand nach
der Spule aus.
Michael drückte sie heftig an sich.
»Besten Dank, aber ich möchte ihn selbst fliegen lassen.«
»Natürlich, aber ich darf dir doch dabei helfen, nicht wahr?« sagte der
Parkaufseher bescheiden. »Wo ich doch für dich auf den Baum geklettert
bin und keinen Drachen mehr hab steigen lassen, seit ich ein kleiner
Junge war!«
»Na schön«, sagte Michael, denn er wollte nicht unfreundlich erscheinen.
»Ach, ich danke dir, ich danke dir!« rief der Parkaufseher fröhlich.
»Jetzt nehme ich den Drachen und gehe zehn Schritte über den Rasen.
Und wenn ich rufe >los<, dann fängst du an zu laufen. Verstanden?«
Der Parkaufseher entfernte sich und zählte dabei laut seine Schritte.
»Acht, neun, zehn!«
Er machte kehrt und hob den Drachen über den Kopf. »Los!«
Michael begann zu laufen.
»Mehr Schnur geben!« brüllte der Parkaufseher.
Michael hörte hinter seinem Rücken ein sanftes Flattern. Er spürte
einen Z u g an der Schnur, als sich die Spule in seiner Hand drehte.
»Er fliegt!« rief der Parkaufseher.
Michael blickte zurück. Der Drachen segelte durch die Luft und stieg
gleichmäßig. Höher und höher strebte er, ein winziger gelbgrüner Fleck,
der sich im Blauen verlor. Dem Parkaufseher traten fast die Augen aus
dem Kopf. »So was von Drachen hab ich noch nie gesehen. Selbst nicht
als kleiner Junge«, murmelte er und starrte in die Höhe.
Ein lichtes Wölkchen zog über die Sonne und schwebte weiter am Himmel
entlang. »Es treibt auf den Drachen zu«, flüsterte Jane aufgeregt.
Höher und höher stieg der unruhig schwänzelnde Drachen; wie ein
Pfeil bohrte er sich in die Luft, bis er am Himmel nur noch als schwaches
dunkles Pünktchen zu sehen war. Die Wolke trieb langsam auf ihn zu.
Näher und näher!
»Weg ist er!« sagte Michael, als der Punkt hinter dem dünnen grauen
Vorhang verschwand.
Jane stieß einen kleinen Seufzer aus. Die Zwillinge saßen friedlich in
ihrem Kinderwagen. Eine seltsame Ruhe lag über ihnen allen. Die straff
gespannte Schnur, die von Michaels Hand aufstieg, schien sie alle mit der
Wolke zu verbinden und die Erde mi t dem Himmel. Mit angehaltenem
Atem warteten sie darauf, daß der Drachen wieder erschien.

Plötzlich konnte Jane es nicht länger aushalten.
»Michael«, schrie sie, »hol ein, hol ein!«
Sie legte die Hand auf die straff gespannte, zitternde Schnur.
Michael drehte den Stock und zog lang und heftig an der Schnur. Sie
blieb straff und gab nicht nach. Wieder zog er, keuchend und schnaufend.
»Ich schaff's nicht«, sagte er. »Er kommt nicht.«
»Ich helfe!« sagte Jane. »Jetzt — zieh!«
Aber, sosehr sie sich auch anstrengten, die Schnur gab nicht nach, und
der Drachen blieb hinter der Wolke versteckt.
»Laßt mich mal!« sagte der Parkaufseher wichtig. »Als ich ein Junge
war, da machten wi r es so!«
Er legte oberhalb von Janes Finger seine Hand auf die Schnur und zog
kurz und scharf. Die Schnur schien ein wenig nachzugeben.
»Und jetzt — alle miteinander — zieht!« brüllte er.
Dem Parkaufseher fiel die Mütze vom Kopf, Jane und Michael stemmten
ihre Füße fest ins Gras und zogen aus allen Kräften.
»Er kommt!« schnaufte Michael.
Plötzlich erschlaffte die Schnur; ein kleines wirbelndes Etwas schoß
durch die graue Wolke und kam herabgesegelt.
»Winde die Schnur auf!« rief der Parkaufseher und war f Michael
einen Blick zu.
Aber die Schnur wand sich schon von selbst um die Spule.
Langsam, ganz langsam kam der Drachen herunter, schlug Purzelbäume
in der Luft und tanzte wild am Ende seiner zuckenden Schnur.
Jane japste plötzlich.
»Da ist etwas passiert!« schrie sie. »Das ist nicht unser Drachen. Es ist
ein ganz anderer!«
Sie starrten hinauf.
Es war wirklich so. Der Drachen war nicht mehr gelbgrün. Er hatte die
Farbe gewechselt und war jetzt marineblau. Er kam herunter, tanzend
und hüpfend.
Plötzlich stieß Michael einen Schrei aus.
»Jane! Jane! Das ist gar kein Drachen. Es sieht aus wie — oh, es sieht
aus wie —«
»Mach doch, Michael, schneller!« keuchte Jane. »Ich kann' s kaum erwarten!
«
Denn jetzt wurde über den höchsten Bäumen des Parkes das Gebilde
am Ende der Drachenschnur deutlich. Keine Rede mehr von dem gelbgrünen
Drachen! An seiner Stelle tanzte eine Gestalt, die ihnen bei aller
Seltsamkeit dennoch bekannt vorkam, eine Gestalt, die einen blauen
Mantel mit Silberknöpfen trug und einen mi t Stiefmütterchen bekränzten
Strohhut. Festgeklemmt unter dem Arm hatte sie einen Regenschirm
mi t einem Papageienkopf als Krücke; linker Hand baumelte eine braune
Plüschreisetasche, während die Rechte mi t festem Griff das Ende der Drachenschnur
hielt.
»Oh!« schrie Jane triumphierend. »Sie ist es!«
»Ich wußte es!« brüllte Michael; seine Hand zitterte beim raschen
Aufwinden der Schnur.
»Seltsamer Vogel!« sagte der Parkaufseher und grinste. »Seltsamer
Vogel!«
Immer näher segelte die merkwürdige Gestalt; ihre Füße streiften
schon fast die Baumwipfel. Sie konnten jetzt ihr Gesicht erkennen und
die wohlvertrauten Züge — kohlschwarzes Haar, blitzende blaue Augen
und eine Stupsnase wie bei einer Holländerpuppe. Al s das letzte Stückchen
Schnur sich um die Spule legte, glitt die Gestalt zwischen den Lindenbäumen
zu Boden und setzte sauber aufs Gras auf.
Mi t einem Schwung warf Michael die Drachenschnur we g und rannte
drauflos, Jane eilig hinterher.
»Mary Poppins, Ma r y Poppins!« schrien sie durcheinander und stürzten
auf sie zu.
Hinter ihnen krähten die Zwillinge wie Hähne in der Morgenfrühe,
und der Parkaufseher machte abwechselnd den Mund auf und zu, als
wollte er etwas sagen, fände aber nicht die richtigen Worte.
»Endlich! Endlich! Endlich!« brüllte Michael wie w i l d ; er umklammerte
ihren Arm, ihre Reisetasche, ihren Regenschirm, kurz, alles, was
sich nur anfassen ließ, um sich zu überzeugen, daß sie es wirklich und
leibhaftig war.
»Wir wußten, du würdest wiederkommen! Wi r fanden deinen Brief
mit dem >au revoir< am Ende!« rief Jane und war f ihre Arme um den
blauen Mantel.
Ein befriedigtes Lächeln zuckte für einen Augenblick über Ma r y Poppins'
Gesicht — vom Mund her, über die Stupsnase bis in die blauen
Augen. Aber rasch verschwand es wieder.
»Ich wäre dir dankbar«, bemerkte sie und befreite sich aus Janes Händen,
»wenn du dich daran erinnern wolltest, daß dies hier ein öffentlicher
Park ist und kein Affenhaus. Wa s für ein Benehmen! Bin ich denn im
Zoo? Und wo sind, wenn ich fragen darf, eure Handschuhe?«
Die Kinder prallten zurück und gruben in ihren Taschen.
»Hm! Zieht sie an, bitte.«
Zitternd vor Freude und Aufregung stopften Jane und Michael ihre
Hände in die Handschuhe und setzten ihre Hüte auf.
Mary Poppins trat auf den Kinderwagen zu. Die Zwillinge glucksten
vergnügt, als sie sie fester einwickelte und die Decke geradezog. Dann
blickte sie sich um.
»Wer hat die Ente in den Teich geworfen?« erkundigte sie sich mi t der
strengen, unnahbaren Stimme, die alle so gut kannten.
»Ich war's«, sagte Jane. »Wegen der Zwillinge. Die Ente schwamm
nach New York.«
»Na, dann hol sie mal wieder her!« sagte Mary Poppins. »Sie
schwimmt nicht nach New Yo r k — wo immer das sein ma g —, sondern
nach Hause zum Tee.«
Nachdem sie ihre Reisetasche über den Griff des Kinderwagens hatte
gleiten lassen, begann sie, die Zwillinge nach dem Ausgang zu schieben.
Der Parkaufseher, der plötzlich seine Stimme wiedergefunden hatte,
stellte sich ihr in den We g .
»Hören Sie mal«, sagte er und glotzte. »Ich muß einen Bericht machen.
Es ist gegen alle Vorschriften. Geradewegs vom Himmel zu fallen, so wie
Sie! Und woher, möchte ich gern wissen, woher?«
Er brach ab, denn Ma r y Poppins blickte an ihm hinauf und hinunter,
auf eine Ar t , daß er sich weit we g wünschte.
»Wenn ich Parkaufseher wäre«, bemerkte sie kurz, »würde ich meine
Mütze aufsetzen und mir den Rock zuknöpfen. Entschuldigen Sie.«
Und ihn hochnäsig zur Seite fegend, schob sie den Kinderwagen an
ihm vorüber.
Mi t rotem Kopf bückte sich der Aufseher, um seine Mütze aufzuheben.
Al s er wieder aufblickte, waren Mary Poppins und die Kinder bereits
durch das Tor von Kirschbaumweg Nummer siebzehn verschwunden.
Er blickte verdutzt auf den Weg. Dann starrte er zum Himmel empor
und danach wieder auf den We g .
Er nahm die Mütze ab, kratzte sich den Kopf und setzte sie wieder auf.
»So wa s hab ich noch nicht erlebt!« sagte er kopfschüttelnd. »Nicht
mal als kleiner Junge!« Und vor sich hin murmelnd ging er verstört davon.
»Ei, das ist ja Ma r y Poppins!« sagte Mistreß Banks, als sie in die Diele
traten. »Wo kommen Sie denn her? Au s blauem Himmel?«
»Jawohl«, begann Michael vergnügt, »sie kam herunter am Ende
einer . . .«
Er brach plötzlich ab, denn Mary Poppins hatte ihm einen ihrer fürchterlichen
Blicke zugeworfen.
»Ich fand sie im Park, Madam«, sagte sie, sich an Mistreß Banks wendend,
»und so brachte ich sie nach Haus.«
»Sie sind also gekommen, um zu bleiben?«
»Vorläufig, Madam.«
»Aber als Sie das letztemal hier waren, Ma r y Poppins, haben Sie mich
ohne ein Wort der Kündigung verlassen. Woher soll ich denn wissen, daß
Sie es diesmal nicht wieder tun?«
»Das können Sie nicht«, entgegnete Mary Poppins ungerührt.
Mistreß Banks sah reichlich verdutzt aus.
»Aber — aber, wollen Sie denn wirklich?« fragte sie unsicher.

»Ich kann's nicht sagen, Madam, wirklich nicht.«
»Ach!« sagte Mistreß Banks, weil ihr nichts Besseres einfiel.
Aber ehe sie sich von ihrer Ãœberraschung erholt hatte, hatte Mary
Poppins schon ihre Reisetasche ergriffen und drängte die Kinder die
Treppe hinauf.
Mistreß Banks, die ihnen nachblickte, hörte, wie die Tür zum Kinderzimmer
sich leise schloß. Mi t einem Seufzer der Erleichterung lief sie ans
Telefon.
»Mary Poppins ist zurückgekommen!« rief sie glücklich in den Hörer.
»Ach wirklich?« sagte Mister Banks am anderen Ende. »Dann komm
ich vielleicht auch.«
Und er hängte ab.
Eine Treppe höher zog Ma r y Poppins ihren Mantel aus. Sie hängte ihn
an einen Haken hinter der Tür zum Kinderschlafzimmer. Dann legte sie
den Hut ab und setzte ihn ordentlich auf einen der Bettpfosten.
Jane und Michael verfolgten die vertrauten Bewegungen. Alles an ihr
war genauso wie immer. Sie konnten kaum noch glauben, daß sie jemals
weg gewesen war.
Mary Poppins bückte sich und öffnete die Reisetasche.
Mi t Ausnahme eines großen Thermometers war sie völlig leer.
»Wozu ist denn das?« fragte Jane neugierig.
»Für dich«, sagte Mary Poppins.
»Aber ich bin doch nicht krank«, protestierte Jane. »Es ist zwei
Monate her, daß ich die Masern hatte.«
»Mund auf!« sagte Mar y Poppins mi t einer Stimme, vor der Jane
schleunigst die Augen schloß und den Mund aufsperrte. Das Thermometer
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