Mary Poppins öffnete die Tür und schob die Kinder vor sich
her. Ein großer, freundlicher Raum lag vor ihnen. Links in der
Ecke brannte ein helles Kaminfeuer, und in der Mitte stand ein
großer Tisch, zum Tee gedeckt: vier Tassen und Teller, Berge
von Butterbroten, Kuchen, Kokosnußbrötchen und ein großer
Königskuchen mit rosa Zuckerguß.
»Ei, das ist aber eine Freude!« begrüßte sie eine dröhnende
Stimme. Jane und Michael blickten umher, um zu entdecken, woher
sie kam. Es war niemand zu sehen. Das Zimmer schien leer.
Da hörten sie Mary Poppins' ärgerlichen Ausruf:
»Aber Onkel Albert — doch nicht schon wieder! Du hast doch
heut nicht Geburtstag.«
Dabei schaute sie zur Decke hinauf. Jane und Michael folgten
ihrem Blick und sahen zu ihrer Ãœberraschung einen runden, dicken,
kahlköpfigen Mann in der Luft schweben, ohne daß er sich irgendwo
festhielt. Wahrhaftig, er saß in der Luft, ein Bein über das
andere geschlagen, und hatte die Zeitung, worin er bei ihrem Eintritt
noch gelesen, neben sich gelegt.
»Meine Liebe«, sagte Mister Schopf und lächelte zu den Kindern
hinunter, während er Mary Poppins schuldbewußt ansah. »Es
tut mir leid, aber ich fürchte, ich hab heut Geburtstag!«
»Tz, tz, tz«, machte Mary Poppins.
»Es fiel mir erst heute nacht ein, und mir blieb keine Zeit mehr,
eine Postkarte zu schreiben und euch zu bitten, ein andermal
zu kommen. Sehr bedauerlich, wie?« Und er blickte zu Jane und
Michael hinunter.
»Ihr seid recht erstaunt, wie ich sehe«, stellte er fest. Und wirklich,
beiden stand vor Staunen der Mund offen, weit genug, daß
Mister Schopf, wäre er ein bißchen kleiner gewesen, leicht hätte
hineinfallen können.
»Ich will es euch lieber erklären«, fuhr Mister Schopf in aller
Gemütsruhe fort. »Seht ihr, das ist so: Ich bin ein lustiger Mensch
und lache gern. Ihr beide werdet kaum glauben, wie vieles auf
dieser Welt mir so schrecklich komisch vorkommt. Wirklich, ich
muß fast über alles lachen.«
Bei diesen Worten begann Mister Schopf, hin und her zu schau-
keln und sich beim Gedanken an seine eigene Lustigkeit vor Lachen
zu schütteln.
»Onkel Albert«, rief Mary Poppins, und mit einem Ruck hörte
Mister Schopf auf zu lachen.
»Oh, verzeih, meine Liebe. Wo bin ich doch stehengeblieben?
Ach ja. Nun, das Sonderbare bei mir ist — schon recht, Mary,
ich lach nicht mehr, wenn's irgend geht —, aber jedesmal, wenn
mein Geburtstag auf einen Freitag fällt, bin ich ganz aus dem
Häuschen. Einfach aus dem Häuschen!«
»Aber warum .. .?« begann Jane.
»Wieso denn . . . ? « fiel Michael ein.
»Na, seht ihr! Wenn ich an meinem Geburtstag lache, fülle
ich mich so mit Lachgas, daß ich mich einfach nicht mehr auf
dem Boden halten kann. Selbst wenn ich nur lächle, fängt es
schon an. Der erste lustige Gedanke, und ich gehe hoch wie ein
Ballon. Und solange ich nicht an etwas Ernstes denken kann,
komme ich nicht wieder herunter.« Schon fing Mister Schopf
wieder an, höchst vergnügt vor sich hin zu kichern, doch nach
einem Blick auf Mary Poppins' Gesicht unterdrückte er sein Lachen
und fuhr fort:
»Natürlich ist es peinlich, aber sonst nicht unangenehm. Euch
beiden ist so etwas wohl noch nicht passiert?«
Jane und Michael schüttelten den Kopf.
»Nein? Das hab ich mir gedacht. Es scheint eine Spezialität
von mir zu sein. Einmal — ich war am Abend im Zirkus gewesen
— hab ich so gelacht, daß ich, ob ihr's glaubt oder nicht, ganze
zwölf Stunden hier oben bleiben mußte, erst als die Uhr um
Mitternacht den letzten Schlag tat, kam ich wieder herunter.
Das geschah natürlich mit einem tüchtigen Plumps, denn es war
ja nun Samstag und mein Geburtstag vorbei. Findet ihr das nicht
merkwürdig? Urkomisch? Wie? Heute ist wieder Freitag und
abermals mein Geburtstag. Und gerade heut kommt ihr beiden
mit Mary Poppins zu Besuch. O Gott, o Gott, bringt mich bloß
nicht zum Lachen, ich bitte euch!«
Aber obwohl Jane und Michael nichts Komisches getan, sondern
ihn nur voll Staunen angestarrt hatten, fing Mister Schopf wieder
an, laut zu prusten. Dabei sprang und tanzte er in der Luft
herum, schwenkte die Zeitung in der Hand, und die Brille rutschte
ihm von der Nase.
Es sah so lächerlich aus, wie er da in der Luft herumhopste,
ein riesiger Luftballon, wobei er manchmal nach der Decke und
manchmal im Vorbeistreifen nach der Gaslampe griff, daß Jane
und Michael, wenn sie auch krampfhaft versuchten, artig zu sein,
einfach nichts anderes tun konnten, als was sie taten. Sie lachten.
Und wie lachten sie! Sie preßten mit aller Macht ihre Lippen
zusammen, um nicht herauszuplatzen, aber umsonst. Schließlich
wälzten sich beide auf dem Fußboden und schrien und quietschten
vor Lachen.
»Unerhört!« sagte Mary Poppins. »So ein Benehmen . . .!«
»Ich kann nichts dafür, ich kann nichts dafür!« ächzte Michael
und rollte dabei ans Kamingitter. »Es ist so schrecklich komisch.
O Jane, ist es nicht komisch?«
Jane antwortete nicht, denn mit ihr geschah etwas Merkwürdiges.
Beim Lachen spürte sie, wie sie immer leichter wurde, als
werde sie mit Luft vollgepumpt. Es war ein höchst seltsames und
dabei köstliches Gefühl, das sie immer mehr zum Lachen brachte.
Plötzlich gab es einen tüchtigen Ruck, und sie spürte, wie sie in
die Luft stieg. Verblüfft sah Michael sie durchs Zimmer schweben.
Mit einem kleinen Bums stieß ihr Kopf an die Decke, und dann
schwebte sie an ihr entlang, bis sie bei Mister Schopf landete.
»Hoppla!« sagte der und sah ganz überrascht aus. »Erzähl mir
bloß nicht, du hättest heute auch Geburtstag.« Jane schüttelte den
Kopf.
»Also nicht? Dann muß das Lachgas ansteckend sein. He — halt,
aufgepaßt! Der Kaminsims!« Das galt Michael, der sich plötzlich
vom Boden gelöst hatte, und nun, brüllend vor Lachen, durch die
Luft schoß. Ums Haar hätte er beim Vorbeistreifen die Porzellanfiguren
vom Kaminsims gefegt. Mit einem Schwupp landete er
direkt auf Mister Schopfs Knie.
»Willkommen!« sagte der und schüttelte Michael herzlich die
Hand. »Das finde ich wirklich nett von dir, wirklich sehr nett,
daß du zu mir heraufkommst, da ich nicht zu dir hinunter kann
— wie?« Dann blickten er und Michael einander an, warfen den
Kopf zurück und schrien vor Lachen.
»Du denkst sicher, ich hätte die schlechtesten Manieren der
Welt«, sagte Mister Schopf zu Jane und wischte sich die Augen.
»Aber du stehst ja immer noch und solltest schon längst sitzen
— eine so hübsche, junge Dame wie du. Leider kann ich dir hier
oben keinen Stuhl anbieten, doch ich hoffe, du sitzt auch auf der
Luft ganz bequem. So wie ich.«
Jane versuchte es und fand, daß es sich hier in der Luft ganz
behaglich sitzen ließ. Sie nahm ihren Hut ab und legte ihn neben
sich. Auch er schwebte ohne jeden Halt frei im Raum.
»So ist's recht«, sagte Mister Schopf. Dann wandte er sich um
und schaute zu Mary Poppins hinunter.
»Hallo, Mary, wir sind untergebracht. Nun kann ich mich endlich
um dich kümmern, meine Liebe. Ich möchte dir sagen, es
macht mich sehr glücklich, dich und meine beiden jungen Freunde
hier zu begrüßen — warum blickst du so finster drein, Mary?
Ich glaube gar, du bist nicht ganz einverstanden mit — hm, mit
alledem?«
Er deutete auf Jane und Michael und sagte schnell: »Sei nicht
bös, liebe Mary! Du weißt doch, wie das mit mir ist. Ich muß
sagen, mir ist nie der Gedanke gekommen, meine beiden jungen
Freunde hier könnten angesteckt werden. Nicht im Traum, Mary!
Ich hätte sie wohl doch besser an einem anderen Tag eingeladen
oder versuchen sollen, an etwas recht Trauriges zu denken oder
an etwas . . . «
»Ich muß gestehen«, sagte Mary Poppins steif, »so etwas ist
mir in meinem Leben noch nicht begegnet! Und in deinem Alter,
O n k e l . . . «
»Mary Poppins, Mary Poppins«, fiel Michael ein. »Bitte, komm
herauf! Denk doch an irgend etwas Lustiges, dann ist es ganz
leicht.«
»Ja, komm nur, Mary!« versuchte Mister Schopf sie zu überreden.
»Hier oben sind wir so allein ohne dich«, rief Jane und
streckte Mary Poppins die Arme entgegen. »Denk doch an etwas
Lustiges.«
»Oh, sie hat das gar nicht nötig«, seufzte Mister Schopf. »Sie
kann jederzeit heraufkommen, sie braucht nicht einmal zu lachen,
und das weiß sie auch.«
Er betrachtete Mary Poppins, wie sie da unten am Kamin
stand, mit einem rätselhaften und heimlichen Blick.
»Na schön«, sagte sie endlich, »es ist zwar recht albern und
würdelos, aber da ihr schon da oben seid und wie's scheint,
nicht mehr herunter könnt, ist es wohl besser, ich komme auch
hinauf.«
Sprach's, legte die Hände an die Seite und schwebte, zur Überraschung
von Jane und Michael, ohne jedes Lachen, ja ohne den
Schimmer eines Lächelns, durch die Luft und setzte sich neben
Jane. »Wie oft hab ich dir schon gesagt, du sollst deinen Mantel
ausziehen, wenn du ins warme Zimmer kommst«, sagte sie kühl,
knöpfte Jane den Mantel auf und legte ihn ordentlich neben den
Hut in die Luft.
»Recht so, Mary! So ist's recht«, sagte Mister Schopf befriedigt,
während er sich selbst hinunterbeugte und seine Brille auf
den Kaminsims legte. »Nun haben wir es uns endlich bequem
gemacht...«
»Es gibt so eine Bequemlichkeit und so eine!« erklärte Mary
Poppins und zog geringschätzig die Luft durch die Nase.
»Nun können wir endlich Tee trinken«, fuhr Mister Schopf
fort und tat, als habe er ihre Bemerkung gar nicht gehört. Aber
plötzlich machte er ein bestürztes Gesicht.
»Du meine Güte!« rief er, »wie schrecklich! Jetzt fällt es mir
erst ein — der Tisch steht dort unten, und wir sind hier oben.
Was machen wir? Wir hier — und er dort! Das ist ja eine Tragödie
— eine ganz schreckliche! Aber ach, es ist trotzdem so komisch!«
Er hielt sich das Taschentuch vors Gesicht und prustete hinein.
Obwohl Jane und Michael nur ungern auf Kuchen und Törtchen
verzichteten, mußten sie mitlachen, so ansteckend wirkte Mister
Schopfs Heiterkeit.
Er trocknete sich die Augen.
»Da gibt es nur eins«, sagte er. »Wir müssen an etwas Ernsthaftes
denken. An etwas Trauriges, etwas sehr Trauriges. Nur
so kommen wir wieder hinunter. Achtung! — eins, zwei, drei!
An etwas sehr Trauriges, wenn ich bitten darf!«
Sie dachten und dachten, das Kinn in die Hand gestützt.
Michael dachte an die Schule und daran, daß er eines Tages
würde hingehen müssen. Aber selbst das schien ihm heute ein
Spaß, und er mußte lachen.
Jane dachte: In vierzehn Jahren bin ich erwachsen. Aber das
kam ihr keineswegs traurig vor, eher schön und beinahe lustig.
Unwillkürlich mußte sie lachen bei der Vorstellung, sie wäre eine
erwachsene Jane mit langen Röcken und einer Handtasche.
»Da war doch die arme, alte Tante Emilie«, dachte Mister
Schopf laut. »Sie wurde von einem Omnibus überfahren. Traurig!
Wirklich traurig! Schrecklich traurig! Arme Tante Emilie! Aber
ihr Regenschirm wurde gerettet. Ist das nicht komisch?« Und ehe
er sich's versah, krümmte und schüttelte er sich vor Lachen und
prustete los beim Gedanken an Tante Emilies Regenschirm.
»Das führt zu nichts!« rief er und putzte sich die Nase. »Ich
geb's auf. Und meine jungen Freunde hier verstehen sich, scheint
es, auch nicht besser aufs Traurigsein als ich. Mary, kannst du
nicht helfen? Wir möchten so gern unsern Tee trinken.«
Noch heute wissen Jane und Michael nicht recht, was dann geschah.
Genau wissen sie nur eins: Als sich Mister Schopf an Mary
Poppins um Hilfe gewandt hatte, begann plötzlich der Tisch
unten auf seinen Beinen hin und her zu wackeln. Gleich darauf
schwankte er beängstigend. Und dann kam der ganze Tisch unter
dem Klirren des Porzellans durchs Zimmer gesegelt, wobei die
Kuchen von den Platten herunter aufs Tischtuch rutschten. Mit
einer graziösen Wendung landete der Tisch vor ihnen, und zwar
so, daß Mister Schopf jetzt obenan saß.