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Rambler's Top100
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Mary Poppins

Ïðåäûäóùàÿ ñòðàíèöà
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Jane war unten im Garten, um Robertson Ay zu helfen. Eben
hatte sie eine Reihe Radieschen gesät, als sie im Kinderzimmer
Lärm hörte und auf der Treppe den Klang von eiligen Schritten.
Gleich darauf erschien Michael, keuchend und mit hochrotem
Gesicht.
»Sieh doch, Jane!« rief er und hielt ihr seine Hand hin.
Da lag Mary Poppins' Kompaß! Die Scheibe drehte sich wild
um den Pfeil, weil Michael aufgeregt mit der Faust hin und her
fuchtelte.
»Der Kompaß?« fragte Jane erstaunt.
Michael brach in Tränen aus.
»Sie hat ihn mir geschenkt«, schluchzte er, »und gesagt, ich
könne ihn jetzt ganz für mich behalten. Oh, oh, da kann etwas
nicht stimmen! Noch nie hat sie mir etwas geschenkt!«
»Vielleicht hat sie nur nett sein wollen«, sagte Jane, um ihn
zu beruhigen. Aber im Herzen fühlte sie sich genauso verstört
wie Michael. Sie wußte wohl, daß Mary Poppins auf Nettsein
keine Zeit verschwendete.
Und doch entfuhr Mary Poppins seltsamerweise an diesem
Nachmittag kein unwirsches Wort. Sie sah nachdenklich aus, und
wenn man sie etwas fragte, antwortete sie völlig geistesabwesend.
Schließlich konnte es Michael nicht länger ertragen.
»Ach, sei doch wieder ärgerlich, Mary Poppins! Bitte, sei doch
wieder ärgerlich! Du bist so anders als sonst! Oh, mir ist so bang!«
Wirklich, es drückte ihm das Herz ab, weil er spürte, im Kirschbaumweg
Nummer 17 ist etwas Unvorhergesehenes im Gang.
»Mach dir Sorgen, dann hast du welche!« sagte Mary Poppins
mit ihrer altgewohnten Stimme. Und gleich fühlte er sich besser.
»Vielleicht ist es nur so ein dummes Gefühl«, sagte er zu Jane.
»Vielleicht ist alles in Ordnung, und ich bilde es mir nur ein —
meinst du nicht, Jane?«
»Wahrscheinlich«, sagte Jane langsam. Aber auch sie war nachdenklich,
und ihr Herz war schwer wie Blei.
Der Wind wurde gegen Abend stärker und blies in Stößen ums
Haus. Er fuhr fauchend und pfeifend durch den Kamin, schlüpfte
durch die Ritzen unter den Fenstern und wirbelte im Kinderzimmer
die Ecken des Teppichs hoch.
Mary Poppins brachte ihnen das Nachtessen und legte sauber
und ordentlich ihre Sachen zusammen. Dann räumte sie das Kinderzimmer
auf und setzte den Wasserkessel auf den Rost am
Kamin.
»So!« sagte sie und schaute sich im Zimmer um, ob auch alles
in Ordnung sei. Schweigend blieb sie noch einen Augenblick stehen.
Dann legte sie Michael sacht eine Hand auf den Kopf und die
andere auf die Schulter. »So!« wiederholte sie. »Ich bringe Robertson
Ay nur schnell noch die Schuhe zum Putzen. Seid schön brav,
bis ich wieder zurück bin!« Damit ging sie hinaus und machte
leise die Tür hinter sich zu.
Plötzlich, als sie draußen war, hatten sie das Gefühl, sie müßten
ihr nachlaufen. Aber es hielt sie etwas zurück. So blieben sie,
die Ellbogen auf dem Tisch, ruhig sitzen und warteten auf ihre
Rückkehr. Jeder gab sich Mühe, den andern zu beruhigen, auch
ohne Worte.
»Wie albern wir sind!« sagte Jane endlich. »Es ist doch alles
wie immer!« Aber sie wußte, sie sagte das nur, um Michael zu
beruhigen. Sie selber glaubte nicht daran.
Die Uhr auf dem Kaminsims tickte laut. Das Feuer flackerte
und knisterte und sank langsam in sich zusammen. Sie saßen
immer noch am Tisch und warteten.
Schließlich sagte Michael unruhig: »Sie ist schon sehr lange fort,
findest du nicht auch?«
Wie zur Antwort pfiff und lärmte der Wind um das Haus. Die
Uhr tickte noch immer im alten Doppeltakt.
Plötzlich wurde die Stille durch ein Geräusch unterbrochen:
Mit lautem Bums wurde die Haustür zugeschlagen.
»Michael!« rief Jane erschrocken.
»Jane!« sagte Michael, ganz blaß und verängstigt.
Sie horchten. Dann rannten sie schnell ans Fenster und schauten
hinaus.
Unten vor der Tür stand Mary Poppins. In Hut und Mantel
stand sie da, die Teppichtasche in einer Hand und den Schirm in
der andern. Der Wind blies wild um sie her, zerrte an ihrem
Rock und schob ihren Hut verwegen zur Seite. Aber, so schien
es Jane und Michael, sie machte sich nichts daraus, denn sie
lächelte, als verstünden sie und der Wind sich recht gut.
So blieb sie eine Weile auf der Treppe stehen und blickte zur
Haustür zurück. Dann öffnete sie, obgleich es gar nicht regnete,
mit einer raschen Bewegung den Schirm und schwenkte ihn über
den Kopf.
Mit einem wilden Laut fuhr der Wind unter den Schirm und
warf ihn hoch, als wolle er ihn Mary Poppins aus der Hand reißen.
Aber sie hielt ihn fest, und das war anscheinend, was der
Wind wollte. Denn jetzt riß er den Schirm noch höher in die Luft,
und Mary Poppins verlor den Boden unter den Füßen. Der Wind
trug sie dahin, so daß ihre Fußspitzen den Gartenweg kaum noch
streiften. Dann hob er sie übers Gartentor und trieb sie hinauf
zu den Zweigen der Kirschbäume an der Straße.
»Sie geht fort, Jane, sie geht fort!« rief Michael schluchzend.

»Schnell!« rief Jane. »Wir wollen die Zwillinge holen. Sie müssen
sie auch noch einmal sehen.«
Weder sie noch Michael bezweifelten, daß Mary Poppins sie
für immer verließ. Der Wind hatte sich ja gedreht!
Jeder holte einen der Zwillinge, und dann huschten sie zum
Fenster zurück.
Mary Poppins schwebte jetzt hoch in der Luft, sie flog über
die Kirschbäume weg und über die Hausdächer. Mit der einen
Hand hielt sie den Schirm fest und mit der andern die Teppichtasche.
Die Zwillinge fingen leise an zu weinen.
Mit ihrer freien Hand öffneten Jane und Michael das Fenster
und machten einen letzten Versuch, Mary Poppins aufzuhalten.
»Mary Poppins!« riefen sie. »Mary Poppins, komm doch wieder!
«
Aber sie hörte sie nicht oder schenkte ihnen absichtlich keine
Beachtung. Immer weiter segelte sie dahin, immer höher hinauf
in die wolkenerfüllte, heulende Luft, bis der Wind sie schließlich
über den Hügel wehte und die Kinder nichts mehr sahen als die
im Sturm sich biegenden und knarrenden Bäume.
»Sie hat nur getan, was sie immer tun wollte. Sie ist geblieben,
bis der Wind umschlug«, sagte Jane seufzend und wandte sich vom
Fenster weg. Sie trug John wieder in sein Bettchen und legte ihn
hinein. Michael erwiderte nichts, aber als er Barbara in ihr Bettchen
zurückbrachte und zudeckte, seufzte auch er traurig.
»Ob wir sie wohl irgendwann einmal wiedersehen?« sagte Jane.
Plötzlich hörten sie Stimmen auf der Treppe.
»Kinder, Kinder!« rief Mistreß Banks und öffnete die Tür.
»Kinder — ich bin sehr böse. Mary Poppins hat uns verlassen —«
»Wir wissen's«, sagten Jane und Michael.
»Ihr wißt es?« fragte Mistreß Banks erstaunt. »Hat sie euch
denn gesagt, daß sie fortgeht?«
Sie schüttelten den Kopf. Mistreß Banks fuhr fort:
»Es ist empörend! Eben noch hier und schon fort! Nicht einmal
eine Entschuldigung. Sagte nur >Ich gehe<, und weg war sie. Etwas
Unglaublicheres, Unhöflicheres — was ist denn, Michael?« brach
sie ärgerlich ab, denn Michael hatte sie am Kleid gepackt und zog
ungeduldig daran. »Was ist denn, Kind?«
»Hat sie gesagt, sie würde wiederkommen?« rief er und warf
seine Mutter beinahe um. »Sag mir's schnell — bitte!«
»Führ dich nicht auf wie ein wilder Indianer, Michael!« rief
Mistreß Banks, aus der Fassung gebracht. »Ich weiß nicht mehr
genau, was sie gesagt hat. Nur, daß sie gehe. Aber ich will sie
gar nicht mehr haben, auch wenn sie wiederkommen möchte.
Mich Knall und Fall im Stich zu lassen, ohne jede Hilfe und ohne
Kündigung!«
»Aber, Mutti!« sagte Jane vorwurfsvoll.
»Sag so etwas nicht!« rief Michael und ballte die Faust. Fast
sah es aus, als wolle er sie schlagen.
»Kinder! Schämt ihr euch nicht? Was fällt euch ein! Jemand
zurückzuwünschen, der an eurer Mutter so schlecht gehandelt hat!
Ich bin ganz außer mir!«
»Der einzige Mensch in der Welt, an dem mir etwas liegt, ist
Mary Poppins!« jammerte Michael und warf sich zu Boden.
»Aber Kinder! Wahrhaftig, ich versteh euch nicht! Seid doch
vernünftig, ich bitt euch! Es ist doch keiner da, der heut nacht
auf euch aufpassen kann. Ich bin zum Essen eingeladen, und
Ellen hat Ausgang. Ich muß Mistreß Brill heraufschicken.« Sie
gab ihnen zerstreut einen Kuß und ging, mit einer kleinen Sorgenfalte
auf der Stirn.
»So etwas könnte ich nie tun. Einfach fortgehen und euch liebe,
arme Kinder im Stich lassen«, sagte Mistreß Brill ein wenig später,
als sie geschäftig eintrat und ihr Amt übernahm.
»Ein Herz von Stein hatte diese Person. Kein Zweifel, oder
ich will nicht Klara Brill heißen. Immer für sich bleiben und
nicht einmal ein Spitzentaschentuch zum Andenken oder eine Hutnadel!
Bitt dich, steh auf, Master Michael!« Mistreß Brill
schnappte nach Luft.
»Daß wir's so lang ausgehalten haben mit ihr, verstehe ich
nicht! Dieses vornehme Getue und so! Was für eine Menge Knöpfe,
Miß Jane! Steh endlich still, damit ich dich ausziehen kann,
Master Michael! Und häßlich war sie auch, nicht gerade ein verlockender
Anblick. Wirklich, alles in allem sind wir jetzt doch
viel besser dran. So, Miß Jane, wo hast du dein Nachthemd —
was steckt denn da unter deinem Kissen?«
Mistreß Brill zog ein kleines, gut verschnürtes Päckchen hervor.
»Was ist das? Gib's mir — gib's mir!« Jane zitterte vor Erwartung.
Fast riß sie Mistreß Brill das Päckchen aus der Hand.
Michael stand daneben und sah zu, wie sie die Schnur aufmachte
und das braune Papier wegriß.
Mistreß Brill ging zu den Zwillingen hinein, ohne auch nur
abzuwarten, was aus dem Päckchen zum Vorschein kam.
Das letzte Einwickelpapier flog auf den Boden, und Jane hielt
den Inhalt des Päckchens in der Hand.
»Ihr Bild!« flüsterte sie atemlos und betrachtete es gründlich.
Das Porträt steckte in einem schmalen, gedrechselten Rahmen
und trug die Unterschrift: >Mary Poppins von Bert<.
»Das ist der Streichholzmann — der hat es gemacht!« sagte
Michael und nahm das Porträt in die Hand, um es genauer sehen
zu können.
Auf einmal entdeckte Jane, daß an dem Porträt ein Briefchen
befestigt war. Behutsam faltete sie es auseinander. Darin stand:
»Liebe Jane,
Michael hat den Kompaß bekommen, darum ist das Bild für
Dich bestimmt. Au revoir. Mary Poppins«
Jane las es laut vor, bis sie an die Worte kam, die sie nicht
verstand.
»Mistreß Brill!« rief sie. »Was heißt >au revoirGott segne dichauf Wiedersehen!<«
Jane und Michael sahen einander an. Freudiges Verständnis
leuchtete aus ihren Augen. Sie wußten, was Mary Poppins damit
sagen wollte.
Erleichtert seufzte Michael auf. »Dann ist ja alles gut!« sagte
er. »Sie hält immer, was sie verspricht!« Er drehte sich um.
»Michael, weinst du etwa?« fragte Jane.
Er bewegte nur den Kopf und versuchte zu lächeln.
»Nein, nein, ich nicht. Nur meine Augen«, sagte er.
Sie drängte ihn sacht ins Bett, und als er drin lag, schob sie
ihm Mary Poppins' Porträt in die Hand — ganz rasch, bevor
sie's bereute.
»Du darfst es heut nacht behalten, Michael«, flüsterte sie und
deckte ihn gut zu. So hatte es Mary Poppins auch immer gemacht.
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