und mir aussuchen helfen.«
Es tanzte um sie herum, rannte von einem zum andern und
führte sie zur Spielzeugabteilung zurück. Wo sie vorbeikamen,
blieben die Leute, die beim Einkaufen waren, stehen, starrten sie
an und ließen bestürzt ihre Pakete fallen.
»Viel zu kalt für das Kind! Was haben sich seine Eltern nur
gedacht?« sagten die Mütter, und ihre Stimmen wurden ganz
weich und sanft.
»Ich muß schon sagen . . . « , erklärten die Väter. »So was dürfte
gar nicht erlaubt sein. Das sollte man an die Zeitung schreiben.«
Und ihre Stimmen klangen unnatürlich rauh und entschlossen.
Auch die aufsichtsführenden Damen und Herren benahmen sich
ungewöhnlich. Sobald die kleine Gruppe vorbeikam, machten sie
vor Maja eine Verbeugung wie vor einer Königin.
Aber keiner — weder Jane, Michael, Mary Poppins noch Maja
— nahm von alldem Notiz. Sie waren zu sehr mit sich selbst und
ihrem herrlichen Abenteuer beschäftigt.
»Da sind wir!« jubelte Maja und tänzelte in die Spielzeugabteilung
hinein. »Was wollen wir aussuchen?«
Als einer der Verkäufer sie sah, verbeugte er sich sehr respektvoll.
»Ich brauche etwas für meine Schwestern — es sind sechs. Bitte,
helfen Sie mir«, sagte Maja und lächelte ihn an.
»Aber gern, mein Fräulein«, sagte der Verkäufer bereitwillig.
»Zuerst meine älteste Schwester«, begann Maja. »Sie ist sehr
häuslich. Wie wär's mit dem kleinen Herd mit den silbernen
Kasserollen? Ja? Und mit diesem Kehrbesen. Uns macht der
Sternenstaub so viel zu schaffen. Sie wird begeistert sein, wenn sie
ihn damit zusammenfegen kann.«
Der Verkäufer machte sich gleich daran, die Sachen in buntes
Papier einzupacken.
»Jetzt für Taygete. Sie tanzt so gern. Meinst du nicht, Jane,
ein Springseil wäre für sie das Richtige? Nicht wahr, Sie packen
alles sorgfältig ein, bitte?« sagte sie zu dem Verkäufer. »Ich
habe einen weiten Weg.«
So flatterte Maja zwischen den Spielsachen umher und stand
nicht einen Augenblick still. Sie trippelte mit leichten, quecksilbrigen
Schrittchen, das sah aus, als funkele sie noch oben am
Himmel.
Mary Poppins, Jane und Michael konnten die Augen nicht von
ihr lassen, wie sie so von einem zum andern huschte und sie um
Rat fragte.
»Jetzt kommt Alcyone. Für sie ist's schwierig. Sie ist so still
und nachdenklich und hat nie einen besonderen Wunsch. Ein
Buch, meinst du nicht, Mary Poppins? Wie wär's mit dieser
Familie — den »Schweizer Robinsons Ich glaube, das würde ihr
gefallen. Und wenn nicht, kann sie sich wenigstens die Bilder
begucken. Packen Sie's bitte ein.«
Sie reichte dem Verkäufer das Buch.
»Was Celaeno sich wünscht, weiß ich«, plapperte sie weiter.
»Einen Reifen. Bei Tag kann sie ihn über den Himmel rollen und
bei Nacht im Kreis um sich herumwirbeln. Hier, der rot-blaue
wird ihr gefallen.« Der Verkäufer verbeugte sich abermals und
packte auch den Reifen ein.
»Jetzt sind nur noch die beiden Kleinen übrig. Michael, was
meinst du, was paßt für Sterope?«
»Wie wär's mit einem Kreisel?« antwortete Michael nach gründlichem
Ãœberlegen.
»Ein Brummkreisel? Eine glänzende Idee! Sie wird sich freuen,
wenn sie zusehen kann, wie er die Milchstraße hinuntertanzt
und dabei singt. Und was glaubst du, Jane, was für Merope, unser
Baby, das Richtige wäre?«
»John und Barbara haben Gummienten«, meinte Jane.
Maja schlug begeistert die Händchen zusammen.
»O Jane, wie klug du bist! Daran hätte ich nie gedacht. Eine
Gummiente für Merope, bitte — eine blaue mit gelben Augen.«
Der Verkäufer verschnürte die Pakete, während Maja um ihn
herumtanzte, am Papier herumdrückte und fest an der Schnur
zog, um sicher zu sein, daß der Knoten hielt.
»So ist's gut!« sagte sie. »Verstehen Sie, ich darf nichts verlieren.
«
Michael, der sie die ganze Zeit unverwandt angestaunt hatte,
drehte sich um und flüsterte Mary Poppins ins Ohr:
»Aber sie hat doch keine Geldtasche mit. Wer bezahlt denn die
Spielsachen?«
»Mach dir nur keine Sorgen!« sagte Mary Poppins kühl.
»Außerdem ist es unhöflich zu flüstern.« Aber trotzdem fing sie an,
eifrig in ihrer Tasche zu suchen.
»Was sagtest du da? Bezahlen?« fragte Maja und riß verwundert
die Augen auf. »Niemand wird bezahlen! Da ist nichts zu
bezahlen — nicht wahr?«
Sie heftete ihren schimmernden Blick auf den Verkäufer.
»Gar nichts, mein Fräulein«, versicherte er, legte die Pakete
in ihre Arme und verbeugte sich wieder.
»Ich dachte es mir. Siehst du«, sagte sie zu Michael gewandt,
»die Hauptsache zu Weihnachten ist doch, daß die Sachen verschenkt
werden, nicht wahr? Außerdem, womit sollte ich bezahlen?
Wir haben dort oben kein Geld.« Und sie lachte bei der bloßen
Vorstellung.
»Jetzt müssen wir gehen«, fuhr sie fort und nahm Michael beim
Arm. »Wir müssen alle nach Hause. Es ist schon sehr spät, und
ich habe gehört, wie eure Mutter sagte, ihr sollt rechtzeitig zum
Tee wieder da sein. Auch ich muß wieder zurück. Kommt!«
Michael, Jane und Mary Poppins mit sich fortziehend, führte
Maja sie durchs Warenhaus und zur Drehtür hinaus.
Draußen vor dem Eingang sagte Jane plötzlich:
»Aber für sie ist ja gar kein Geschenk dabei! Sie hat für alle
anderen etwas gekauft und nichts für sich. Maja hat kein Weihnachtsgeschenk!
« Sie begann rasch, ihre Pakete zu durchstöbern,
um nachzusehen, ob sie etwas für Maja fände.
Mary Poppins warf einen raschen Blick ins Schaufenster. Sie
sah dort ihr Spiegelbild, sehr flott, sehr anziehend. Ihr Hut saß
gerade, ihr Mantel war sorgfältig gebügelt, und ihre neuen Handschuhe
bildeten die Krönung des Ganzen.
»Du hältst den Mund!« befahl sie Jane mit ihrer schnippischen
Stimme. Dann zog sie die neuen Handschuhe aus und warf Maja
in jede Hand einen Handschuh.
»Da!« sagte sie nur. »Es ist kalt heute. Du wirst noch froh darüber
sein.«
Maja blickte auf die Handschuhe nieder, die weit und lose
über ihre Hände hingen. Sie antwortete nichts, schmiegte sich
aber ganz nah an Mary Poppins, legte ihr den freien Arm um
den Hals und gab ihr einen Kuß. Sie schauten sich lang in die
Augen und lächelten, wie Menschen lächeln, die einander verstehen.
Dann wandte Maja sich um und streichelte Jane und
Michael leicht über die Wangen. Und für einen Augenblick standen
sie alle beieinander, an der windigen Ecke, und blickten sich
an wie verzaubert.
»Ich war so glücklich!« brach Maja mit weicher Stimme das
Schweigen. »Vergeßt mich bitte nicht!«
Sie schüttelten den Kopf.
»Lebt wohl!« sagte Maja.
»Leb wohl!« sagten die andern, obgleich sie alles andere weit
lieber gesagt hätten.
Maja stellte sich leicht auf die Fußspitzen, hob ihre Arme empor
und sprang in die Luft. Dann begann sie zu steigen, Schritt für
Schritt, immer höher hinauf, als wären unsichtbare Stufen in den
Himmel geschlagen. Sie winkte den Zurückbleibenden zu, während
sie weiter stieg, und die drei winkten zurück.
»Was ist denn hier los?« fragte jemand neben ihnen.
»Das ist doch wohl nicht möglich!« ertönte eine andere Stimme.
»Unglaublich!« eine dritte. Plötzlich hatte sich eine Menschen-
menge angesammelt, die das wunderbare Schauspiel von Majas
Heimkehr genoß.
Ein Polizist bahnte sich einen Weg durchs Gedränge und trieb
die Leute mit seinem Knüppel auseinander.
»Aber, aber! Was bedeutet das alles? Ein Unfall oder was?«
Er schaute nach oben, dem Blick der Menge folgend.
»He!« rief er wütend und drohte Maja mit der Faust. »Komm
'runter! Was machst du da oben? Hältst nur den Verkehr auf.
Komm 'runter! So was ist nicht gestattet — nicht auf einem
öffentlichen Platz. Und es geht auch nicht mit rechten Dingen
zu!«
Ganz von fern hörten sie Maja lachen und sahen etwas Helles
von ihrem Arm herabbaumeln. Es war das Sprungseil. Sicherlich
war das Paket aufgegangen.
Noch einen Augenblick sahen sie sie die luftige Treppe hinauftänzeln,
dann entzog eine Wolkenwand sie ihren Augen. Sie wußten
trotzdem, daß sie sich dahinter befand. Der helle Schein verriet
es, der durch die Wolkenwand brach.
»Jetzt schlägt's dreizehn!« sagte der Schutzmann. Er starrte
immer noch zum Himmel hinauf und kratzte sich den Kopf
unterm Helm.
»Das könnte schon sein!« sagte Mary Poppins so bissig, daß
man hätte glauben können, sie ärgere sich über den Schutzmann.
Aber Jane und Michael ließen sich durch den Tonfall nicht täuschen.
Sie hatten in ihren Augen etwas glänzen gesehen: Hätte
sich's nicht um Mary Poppins gehandelt, so hätte man es Tränen
genannt.
»Haben wir uns das alles nur eingebildet?« fragte Michael, als
sie heimkamen und die ganze wunderbare Geschichte ihrer Mutter
erzählten.
»Vielleicht«, meinte Mistreß Banks. »Wir bilden uns oft recht
seltsame Dinge ein, mein Liebling.«
»Aber was ist dann mit Mary Poppins' Handschuhen?« fragte
Jane. »Wir haben doch gesehen, daß sie sie Maja geschenkt
hat. Und jetzt hat sie sie nicht mehr. Also muß es doch wahr
sein!«
»Was, Mary Poppins!« rief Mistreß Banks. »Deine besten
Handschuhe, die mit dem Pelzbesatz! Die hast du weggeschenkt?«
Mary Poppins schnüffelte.
»Meine Handschuhe sind meine Handschuhe, und ich mache mit
ihnen, was ich will!« erklärte sie von oben herab. Sie rückte
ihren Hut gerade und ging in die Küche hinunter, um Tee zu
trinken.
12. Kapitel
Westwind
Es war der erste Frühlingstag.
Jane und Michael wußten es sofort, als sie Mister Banks in
seiner Badewanne singen hörten. Es gab nur einen Tag im Jahr,
an dem er das tat.
Nun, an diesen Morgen würden sie sich ihr Lebtag erinnern.
Zunächst durften sie zum erstenmal mit den Erwachsenen frühstücken
— und dann konnte Mister Banks seine schwarze Mappe
nicht finden.
»Wo ist meine Mappe?« rief Mister Banks und raste in der
Diele herum wie ein Hund auf der Jagd nach seinem Schwanz.
Gleich darauf suchte das ganze Haus — Ellen und Mistreß Brill
und die Kinder. Sogar Robertson Ay machte eine außergewöhnliche
Anstrengung und rannte zweimal durch alle Räume. Schließlich
entdeckte Mister Banks die Mappe in seinem Arbeitszimmer.
Er stürzte damit in die Diele. In hocherhobenen Händen hielt er
sie den andern entgegen.
»Hört!« sagte er, als wollte er eine Rede halten. »Meine Mappe
liegt immer am selben Platz, nämlich hier! Auf dem Schirmständer!
— Wer hat sie ins Arbeitszimmer gelegt?« fragte er
wütend.
»Du selbst, mein Lieber, als du gestern abend die Papiere für
die Einkommensteuer herausnahmst«, sagte Mistreß Banks.
Mister Banks warf ihr einen so tief verletzenden Blick zu, daß
sie wünschte, sie wäre weniger taktlos gewesen und hätte gesagt,
sie selbst habe sie dorthin gelegt.
»Hm — hmmmm!« machte er und schneuzte sich gründlich die
Nase. Dann nahm er seinen Mantel vom Haken und ging zur Eingangstür.
»Hallo, die Papageientulpen haben angesetzt«, sagte er ein
wenig versöhnlicher. Er ging in den Garten hinaus und schnup-
perte in der Luft. »Hm, ich glaube, der Wind kommt vom
Westen.« Er blickte zu Admiral Booms Haus hinunter, wo die
Fernrohr-Wetterfahne kreiste. »Hab ich mir's doch gedacht«, sagte
er. »Westwind! Lind und warm. Ich werde keinen Mantel anziehen.
« Damit nahm er seine Mappe und fuhr zur Stadt.
»Hast du gehört, was er gesagt hat?« Michael packte Jane am
Arm.
Sie nickte. »Es ist Westwind«, sagte sie langsam.
Weiter verloren sie darüber kein Wort, aber ein Gedanke hatte
sich in ihnen geregt, den sie schleunigst wieder zu unterdrücken
suchten. Tatsächlich vergaßen sie ihn bald wieder, denn alles
schien wie immer, und die Frühlingssonne machte das Haus so
wunderbar hell, daß es keinem mehr einfiel zu behaupten, es
brauche einen neuen Anstrich und neue Tapeten. Ganz im Gegenteil,
sie waren alle der Ansicht, es sei das schönste Haus am
Kirschbaumweg.
Aber das Unheil begann nach dem Mittagessen.