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Mary Poppins

Ïðåäûäóùàÿ ñòðàíèöà Ñëåäóþùàÿ ñòðàíèöà
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Als der alte Herr Mary Poppins und die Kinder stehen sah,
verbeugte er sich tief bis zum Boden. Jane und Michael sahen
überrascht, wie Mary Poppins sich ebenso tief verneigte, so daß
die Margeriten auf ihrem Hut die Erde berührten.
»Wo bleiben eure Manieren?« zischte Mary Poppins und sah
aus dieser ungewöhnlichen Stellung zu ihnen auf. Sie sagte es in
einem Ton, daß es Jane und Michael ratsam schien, sich auch zu
verbeugen, und selbst die Zwillinge neigten die Stirn bis an den
Rand des Kinderwagens.
Der alte Herr richtete sich feierlich auf und begann zu sprechen:
»Hochzuverehrende Mary aus dem Hause der Poppins. Laß
dich herab, auf mein unwürdiges Haus das Licht deiner trefflichen
Gunst auszustrahlen. Und, ich flehe dich an, führe zu seinem
öden Herd auch deine vornehmen Reisegefährten.« Er machte
noch eine Verbeugung und winkte mit der Hand nach seinem
Hause hin.
Jane und Michael hatten noch nie eine so seltsame und wundervolle
Ansprache gehört und waren sehr verdutzt. Aber noch größer
war ihr Erstaunen, als Mary Poppins die Einladung mit der
gleichen Feierlichkeit beantwortete.
»Gütiger Herr«, fing sie an, »es erfüllt uns mit tiefem Bedauern,
daß wir, die unscheinbarsten deiner Bekannten, deine
großmütige und königliche Einladung ausschlagen müssen. Das
Lämmchen geht nicht widerspenstiger fort von der Mutter noch
das Vöglein vom Nest, als wir uns von deiner strahlenden Gegenwart
losreißen. Aber, edler und hochzupreisender Herr, wir sind
auf einer Reise um die Welt begriffen, und unser Besuch deiner
ehrenwerten Stadt kann leider nur ganz vorübergehend sein. Er-
laube daher, daß wir Unwürdigen ohne jede weitere Förmlichkeit
von dir scheiden.«
Der Mandarin, denn das war der Mann in der Tat, neigte den
Kopf und schickte sich zu einer weiteren kunstvollen Verbeugung
an, da setzte Mary Poppins ganz schnell den Kompaß wieder in
Bewegung.
»West!« sagte sie energisch.
Rundum drehte sich die Welt, bis Jane und Michael ganz
schwindlig waren. Und als es wieder ruhig wurde, eilten sie mit
Mary Poppins durch große Fichtenwälder auf eine Lichtung zu,
auf der rund um ein riesiges Feuer mehrere Zelte aufgeschlagen
waren. Im Feuerschein huschten dunkle Gestalten hin und her.
Sie waren mit Federn geschmückt und trugen ein loses Hemd zu
fransenbesetzten Hasenfellhosen. Eine dieser Gestalten trennte
sich von den übrigen und kam geschwind auf Mary Poppins und
die Kinder zu.
»Morgenstern-Mary«, sagte er. »Ich grüße dich!« Und er beugte
sich über sie und legte seine Stirn an die ihre. Dann wandte er sich
den vier Kindern zu und machte es bei ihnen ebenso.
»Mein Wigwam erwartet euch«, fuhr er mit ernster, freundlicher
Stimme fort. »Wir braten gerade ein Renntier zum Abendessen.
«
»Häuptling Sonne-am-Mittag«, antwortete Mary Poppins, »wir
sind nur zu kurzem Besuch gekommen — tatsächlich, wir kamen
sozusagen, um Abschied zu nehmen. Wir sind rund um die Welt
gereist, und dies ist der letzte Hafen, den wir anlaufen.«
»Ha? Ist das so?« fragte der Häuptling und sah sehr interessiert
aus. »Ich habe oft daran gedacht, so etwas selbst zu tun.
Aber sicher könnt ihr ein bißchen bei uns bleiben, wenigstens so
lang, bis dieser junge Mann« (er nickte Michael zu) »seine Kraft
mit meinem Ur-Ur-Urenkel >Schnell-wie-der-Wind< gemessen
hat!« Der Häuptling klatschte in die Hände.
»Hei-ho-hi!« rief er laut, und von den Zelten rannte ein kleiner
Indianerbub auf ihn zu. Er trat sofort zu Michael und gab ihm
einen leichten Schlag auf die Schulter.
»Du bist dran!« rief er und lief davon wie ein Hase.
Das war zuviel für Michael. Mit einem Satz war er hinter
ihm her, und Jane hinter ihnen beiden. Die drei rannten zwischen
den Bäumen umher, umkreisten immer wieder eine riesige Fichte,
immer ihrem Anführer >Schnell-wie-der-Wind< nach, der immerzu
lachte und immer außer Reichweite blieb. Jane blieb erschöpft
zurück, aber Michael packte jetzt die Wut, er biß die Zähne
zusammen und flog laut schreiend hinter >Schnell-wie-der-Wind<
her, entschlossen, sich nicht von einem Indianerjungen schlagen zu
lassen.
»Ich werd dich schon kriegen!« schrie er und strengte sich an,
noch schneller zu laufen.
»Was willst du?« fragte Mary Poppins schneidend.
Michael blickte nach ihr zurück und hielt plötzlich inne. Dann
wandte er sich, um die Verfolgung wieder aufzunehmen, aber zu
seiner Verblüffung war keine Spur von >Schnell-wie-der-Wind<
mehr zu sehen. Weder von dem Häuptling und den Zelten noch
vom Feuer. Nicht einmal eine Fichte war da. Nichts als eine
Gartenbank, und Jane und die Zwillinge und Mary Poppins, die
mitten im Park standen.
»Immerzu rund um die Gartenbank rennen, als wärst du verrückt
geworden! Man sollte meinen, daß du für einen Tag unartig
genug warst! Komm jetzt!« schalt Mary Poppins.
»Rund um die Welt und in einer Minute wieder zurück — was
für eine wunderbare Schachtel!« sagte Jane glücklich.
»Gib mir meinen Kompaß wieder!« verlangte Michael patzig.
»Meinen Kompaß, wolltest du sagen«, erwiderte Mary Poppins
und steckte ihn in die Tasche.
Michael blickte sie an, als wollte er sie umbringen, und so war
ihm auch zumute. Aber er zuckte nur die Schultern und machte
sich davon und sagte kein Wort mehr.
»Mit diesem Jungen könnte ich jeden Tag fertigwerden«, redete
er sich selber ein, während er das Tor von Nummer 17 passierte
und die Treppe hinaufstieg.
Der Druck inwendig hatte noch nicht nachgelassen. Nach dem
Abenteuer mit dem Kompaß schien es noch schlimmer zu werden.
Gegen Abend wurde er immer unartiger. Er kniff die Zwillinge,
wenn Mary Poppins gerade nicht hinschaute, und wenn sie weinten,
erkundigte er sich mit heuchlerischer Teilnahme:
»Was habt ihr denn, Kinderchen, was ist los?«
Aber Mary Poppins ließ sich dadurch nicht täuschen.
»Du wirst schon sehen, daß etwas in dir steckt!« äußerte sie
vielsagend. Aber der abscheuliche Druck inwendig machte ihn
gleichgültig. Er zuckte nur die Achseln und zupfte Jane an den
Haaren. Und danach ging er an den Abendbrottisch und warf
seine eingebrockte Milch um.
»Jetzt reicht's aber!« sagte Mary Poppins. »Eine solche Aufsässigkeit
ist mir noch nicht vorgekommen. In meinem ganzen
Leben nicht. Hinaus mit dir! Marsch, ins Bett, und kein Wort
mehr!«
Er hatte sie noch nie so böse gesehen.
Aber noch immer machte er sich nichts daraus.
Er ging ins Schlafzimmer und zog sich aus.
Nein, er machte sich nichts daraus. Er war schlecht, und wenn
sie sich nicht vorsahen, würde er noch viel schlechter werden.
Ihm war es gleich. Er haßte sie alle. Wenn sie nicht aufpaßten,
würde er davonlaufen und zum Zirkus gehen. Schwupp! Weg war
ein Knopf. Schön — da hatte er morgen weniger zu tun. Noch
einer! Um so besser! Nichts in der Welt konnte ihn je dazu bringen,
etwas zu bedauern. Er würde ins Bett gehen, ohne sich das
Haar zu bürsten oder die Zähne — und ganz gewiß, ohne sein
Nachtgebet zu sprechen.
Als er fertig und mit einem Fuß schon im Bett war, sah er den
Kompaß oben auf der Kommode liegen.
Ganz langsam zog er seinen Fuß zurück und huschte auf den
Zehenspitzen durchs Zimmer. Er wußte jetzt, was er tun wollte.
Er wollte den Kompaß nehmen, ihn drehen und rund um die Welt
fahren. Und nie würden sie ihn wiederfinden. Das geschähe ihnen
recht. Ganz leise nahm er einen Stuhl und schob ihn an die Kommode.
Er kletterte hinauf und nahm den Kompaß in die Hand.

Er schüttelte ihn.
»Nord, Süd, Ost, West!« sagte er rasch, damit keiner hereinkäme,
ehe er fort war.
Ein Geräusch hinter dem Stuhl schreckte ihn auf, und er drehte
sich schuldbewußt um, in der Erwartung, Mary Poppins zu sehen.
Statt dessen standen da vier riesige Gestalten, die auf ihn losfuhren.
Der Eskimo mit einem Speer, die Negerdame mit der
Riesenkeule ihres Mannes, der Mandarin mit einem großen
Krummschwert und der rote Indianer mit einem Tomahawk. Aus
allen vier Ecken des Zimmers drangen sie auf ihn ein, die Waffen
hoch über dem Kopf schwingend, und statt gut und freundlich
auszusehen wie am Nachmittag, erschienen sie ihm nun voller
Zorn und Rachedurst. Fast waren sie schon über ihm, ihre riesengroßen,
schrecklichen, wütenden Gesichter rückten näher und
näher. Er spürte ihren heißen Atem auf dem Gesicht und sah sie
die Waffen schwingen.
Mit einem Schrei ließ Michael den Kompaß fallen.
»Mary Poppins — Mary Poppins — zu Hilfe, zu Hilfe!«
brüllte er und kniff die Augen ganz fest zu.
Da fühlte er, wie ihn etwas einhüllte, etwas Weiches und Warmes.
Was war das? Der Pelzmantel des Eskimos, der Umhang des
Mandarins, das Hasenfell des roten Indianers, die Federn der
schwarzen Dame? Wer hatte ihn eingefangen? Oh, wäre er nur
artig gewesen — hätte er nur . ..
»Mary Poppins!« jammerte er, als er sich durch die Luft getragen
und auf etwas noch viel Weicheres niedergelegt fühlte.
»Oh, liebe Mary Poppins!«
»Schon gut, schon gut. Ich bin ja nicht taub. Gott sei Dank!
Kein Grund, zu schreien!« hörte er sie ruhig sagen.
Er machte ein Auge auf. Nichts deutete auf die Anwesenheit
der vier Riesengestalten aus dem Kompaß. Um sicher zu sein, öffnete
er auch das andere Auge. Nirgends ein Schimmer von ihnen.
Er setzte sich auf, schaute im ganzen Zimmer umher. Nichts war
zu sehen.
Dann merkte er, das Weiche um ihn herum war seine eigene
Decke und das Weiche, auf dem er lag, sein eigenes Bett. Und
auch der schwere, lastende Druck, der ihn den ganzen Tag über
gequält hatte, war spurlos vergangen. Er fühlte sich friedlich
und glücklich und hätte am liebsten allen, die er kannte, etwas
zum Geburtstag geschenkt.
»Was — was ist denn passiert?« fragte er Mary Poppins ganz
ängstlich.
»Ich hab dir gesagt, daß das mein Kompaß ist, nicht wahr?
Sei so gut und laß gefälligst meine Sachen in Ruh!« war alles,
was sie antwortete, während sie sich bückte, den Kompaß aufhob
und in ihre Tasche steckte. Dann begann sie, die Kleider aufzuräumen,
die er auf dem Boden hatte liegen lassen.
»Soll ich das nicht machen?« fragte er.
»Nein, danke.«
Sie ging ins Nebenzimmer, und plötzlich kehrte sie zurück und
gab ihm etwas Warmes in die Hand. Es war eine Tasse Milch.
Michael kostete mit der Zunge und trank dann langsam Schlückchen
für Schlückchen, um Mary Poppins möglichst lange an seinem
Bett festzuhalten. Er konnte ihre raschelnde, weiße Schürze riechen
und den schwachen Duft von geröstetem Brot, der sie immer
so köstlich umgab. Aber so sehr er es auch hinzuziehen versuchte,
die Milch reichte nicht ewig, und schließlich gab er ihr mit einem
leisen Seufzer die leere Tasse zurück und kuschelte sich im Bett
zurecht. Ich hab noch nie gewußt, dachte er, wie behaglich es ist
und zugleich, wie warm und wie wohl ich mich fühle, und wie
glücklich ich bin, am Leben zu sein.
»Ist das nicht komisch, Mary Poppins«, murmelte er schläfrig.
»Ich bin so ungezogen gewesen, und jetzt fühle ich mich so schrecklich
wohl.«
»Gsch!« machte Mary Poppins. Sie deckte ihn gut zu. Dann
ging sie hinaus, um das Geschirr abzuwaschen.

7. Kapitel
Die Vogelfrau
»Vielleicht ist sie gar nicht da«, meinte Michael.
»Freilich ist sie da«, sagte Jane. »Sie ist immer da, seit
jeher.«
Sie gingen den Ludgate Hill hinauf und waren auf dem Weg,
ihren Vater in der Stadt zu besuchen. Denn er hatte heute morgen
zu Mistreß Banks gesagt:
»Meine Liebe, wenn's nicht regnet, könnten Jane und Michael
vielleicht heute zu mir ins Büro kommen — wenn es dir recht
ist, natürlich. Ich glaube fast, ich würde mich gern zu Tee und
mürben Brezeln einladen lassen, und ich kann mir nicht oft ein
solches Vergnügen erlauben.«
Mistreß Banks hatte erwidert, sie wolle es sich noch überlegen.
Aber den ganzen Tag über machte sie, obwohl Jane und
Michael sie voll Spannung beobachteten, nicht den Eindruck, als
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